Es liegen zwar einige wenige Studien vor, in denen die Mütter- und Kindersicht mütterlichen Erzieherverhaltens verglichen wurde. Allerdings wurde bislang kaum untersucht, ob sich Übereinstimmungen und Diskrepanzen im Laufe der Entwicklung ändern und von welchen Faktoren diese abhängen könnten. Im Rahmen einer Längsschnittstudie untersuchten wir deshalb folgende Fragen: a) Unterscheidet sich die Selbstperzeption mütterlichen Erziehungsverhaltens von der Kindersicht? b) Ändern sich Übereinstimmungen und Diskrepanzen im Verlauf von zwei Jahren? c) Hängen diese vom Familienstand bzw. d) von der Bindungsqualität der Kinder ab?
42 Kinder (22 Mädchen, 20 Jungen) aus Zweielternfamilien und 39 Scheidungskinder (16 Mädchen, 23 Jungen) wurden zu drei Messzeitpunkten in einjährigem Abstand mit dem „Bochumer semiproduktiven Verfahren zur Erfassung der Bindungsmotivation und Bindungsqualität“ (Trudewind, Höner & Steckel, 1999) sowie dem „Züricher Kurzfragebogen zum Erziehungsverhalten“ (Reitzle, 1993) getestet. Letzteres Verfahren wurde auch den Müttern zu allen drei Messzeitpunkten vorgelegt.
Die Vergleiche der Mütter- und Kindersicht der sicher gebundenen Kinder, unabhängig davon, ob sie in Ein- oder Zweielternfamilien lebten, zeigten zum ersten und zweiten Messzeitpunkt Diskrepanzen, die in die gleiche Richtung weisen, die Kinder beurteilten das mütterliche Erziehungsverhalten ungünstiger als die Mütter, beim dritten Messzeitpunkt hatten sich die Sichtweisen angeglichen. Die unsicher gebundenen Scheidungskinder wichen von diesem Muster ab. Sie zeigten beim ersten Messzeitpunkt das gleiche Muster wie die anderen Kindergruppen, beim zweiten Messzeitpunkt fand sich keine Diskrepanz zwischen Mütter- und Kindersicht, beim dritten Messzeitpunkt reagierten sie wie die anderen Kindergruppen zu den vorhergehenden Messzeitpunkten.
Diese Ergebnisse werden auf dem Hintergrund der Scheidungs- und Bindungsforschung im Sinne einer zeitweilig erhöhten Anpassungsleistung der unsicher gebundenen Kinder interpretiert.
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